Bahnsinn, II, Tauben blicken auf

 

12.05.2013, Tauben blicken auf,  picken. Der   Regen schwemmt alle  die erwartungsvollen  Fahrgäste  in das Bahnhofsgebäude,  jetzt wo der Stuttgarter Bahnhof kein richtiges Dach mehr hat und wo der Zug nach Hamburg eine halbe Stunde zu spät kommt und noch später in Hamburg ankommen wird. Man kann sich nirgends  hinsetzen im Bonatz-Bau, also lese ich Ciceros Buch vom Orator  im Stehen, wie es sich für einen echten  Redner gehört.  Die meisten Menschen sind ein äußerer Monolog: „Do, jetzt scheint die Sonn wieder,  hot irgendjemand die Durchsag verstanden, also dass sich do no kaaner, wie komme mer jetzt. . .“ sagt die Frau neben mir, die einen Platz im Stehcafé ergattert hat. Die Überlegung, dass die Kaffeeindustrie solche Verspätungen inszeniert, um die Stehcafés zu bevölkern, wächst bösartig. Ich werde auf der ganzen Strecke   nach eiligst weggeworfenen Kaffeesäcken Ausschau halten. Jede Einzelheit kann wichtig sein.

Bahnhofsbistro Hildesheim, wattn

Bahnsinn I, Bahnhofsbistro Hildesheim, 8:48 Uhr. RTL  strahlt seine Sendung „Knallwach“ über die Kaffeetassen – die  Betonung liegt auf „Knall“. Die Moderatorin sucht  Hörerinnen, die schon mal mit ihrem besten  Freund geschlafen haben – und findet sie.  Man weiß nicht, was schlimmer ist. Meine drei Nachbarn am Stehtisch adeln  sich durch weghören. Definierte sich früher das Alter durch die familiäre Stellung: Opa, Vater, Jüngling, entschied sich die Gruppenzugehörigkeit später durch die Musik: Bach, Beethoven, Beatles. Jetzt  zeigt die Verwendung der Medien die Alterskohorte an: Der Opa durchblättert  ein Buch, die junge Frau daneben zieht aus ihrem Laptop Sätze auf Schmierpapier, das Schulermädchen hämmert auf sein  glitzerndes iPhone. Ich lese den Satz meiner Kaffeetasse.  Er lautet: „ist leer“. Es ist mittlerweile 9:05 Uhr. RTL Knallwach, die Betonung liegt auf „Knall“, bringt  ein Gewinnspiel:

„Wissen Sie, wo Sie sich befinden?“

Der Hörer weiß es: „Rtlbrnftshausen.“  

„Prima, Sie haben gewonnen.“

 „Wattn?“

O Anna Blume, die Flüsse strömen reichlich

Hechelte beim Joggen im Wald an zwei älteren Damen vorbei. Sagte die eine: „Weniger ist oft mehr“. Ich fasste mir theatralisch mit beiden Händen an den Bauch: „Ich will ja weniger werden!“  Darauf sie: „Von einem schönen Mann kann man nie genug haben.“

Wie schön, dass endlich Frühling ist und sich alle goldenen Lebensregeln komplett widersprechen.

Rauchende Volts

Gerade recherchiere ich über das Wendlinger Umspannwerk, eines von vieren in ganz Deutschland. Dort will ich herausfinden, wie die Energiewende funktioniert. Die Revolution findet in den Netzen statt, sagte neulich Wolfgang Bruder, der Regionalchef der EnBW. Dieser Satz könnte von der Piratenpartei stammen. Kommt aber von einem zurückhaltenden Herrn in kariertem Sakko.

JohannabautmitFischertechnik1