Kleines ägyptisches Tagebuch





12.04. Frankfurt Luxor

Der Urlaub fängt gut an mit der Lektüre von Gustave Flauberts: „Die Versuchung des Heiligen Antonius“. Noch auf der Fahrt zum Flughafen habe ich die frühchristliche Geheimlehre der Gnosis verstanden und im Flieger das Problem der Wahrheit gelöst. Das hatte ich zwar schon einmal, aber die Lösung auf die Rückseite eines Aufkleberbogens gekritzelt, den ich dieser Tage wegwarf,  weil ich die Lösung als Mengenlehre-Gleichung angegeben hatte und nicht mehr verstand. 

Leider kann ich sie hier auch nicht angeben, weil man dazu geschweifte Klammern braucht. 

Deswegen zur Gnosis: 

Vor dem Abflug der Boeing 737 vom Frankfurter Flughafen wird auf  Bildschirm meines Sitzes ein Gebet gezeigt. Kann mich erinnern, wie in Pakistan 1986 die Busse um fünf hielten, damit die frommen Passagiere aussteigen konnten zum Beten. Diese Fahrgäste hatten neben einem Bündel Reisegepäck auch einen Gebetsteppich dabei. Überlege mir, wie der Pilot aussteigen würde zum Beten, und ich hoffe, wir landen vor 17 Uhr. Ob daher das Märchen vom fliegenden Teppich kommt? 

Also zur Gnosis: 30 Äonen bilden die Universalität Gottes und eine der Äonen ist Sophia, die Weisheit, die begierig, ihren Vater kennen zu lernen die Universalität Gottes verließ und zusammen mit dem Heiligen Geist und Christus den Jesus schufen, die Blüte der Universalität Gottes.

Diese Darstellung von Jesu Entstehung erinnert mich an meinen letzten Flug von Kairo nach Deutschland, das war 1989. Ich lag mit einer Malaria tropica im Flieger und wusste  im Fieberwahn nicht, ob ich die Landung überleben würde. Jetzt ist ein Wolkenteppich vor mir, der das ganze Mittelmeer bedeckt. Aber darüber ist Himmel. Der althochdeutsche Ausdruck Uphimmil, der Überhimmel, mit dem der spirituelle Himmel gemeint ist, scheint eine Entsprechung in der Gnosis zu haben?

Jene Lücke, welche die von den Äonen abgefallene Weisheit hinterließ, war gefüllt mit einer schlechten Substanz, die Acharamoth genannt wurde. Gott hatte mit ihr Mitleid und ließ aus ihr das Licht entspringen und auch die dunkle Materie. Aus der dunklen Materie wurde der Demiurg, der Schöpfer der Welt, was absolut einleuchtend erklärt, warum die Welt so schlecht ist, wie sie ist eben ist. Der Demiurg hatte keine Ahnung, dass es über ihm noch einen richtigen Gott gab. In seiner Ignoranz  beanspruchte er, der einzig wahre Gott zu sein, der angebetet werden musste – den Rest kennen wir ja. 

Diese lehrreiche kleine Eingebung verdanke ich Gustave Flaubert und der „Versuchung des Heiligen Antonius“, an der er schrieb, bevor er nach Ägypten aufbrach. Danke Gus,  das konntest Du Walfisch unter den gelehrten Fischen: In ganz wenigen Sätzen so vieles sagen.

Im Flieger nach Kairo, Menschen wie Felsen. Die Mutter trägt ein rosa Kopftuch und darüber ein graues Tuch. Es verhüllt ihr Haar und ist am Kinn eingeschlagen, Goldringe am Ohr, ja und die zerfurchte Stirn  steht hervor wie ein Felsen unter einem Polster aus Moos, schroff, aber auch klar.

Der Vater: An seiner  Stirn brechen sich kurze Locken, die er mit Gel erstarrt hatte.  Sie enden in grauen Spitzen, wie Gischt über den Wellen. 

Das  Kind in einer Wiege, die am Sicherheitsgurt des Flugsitzes hängt. Die Wiege mit mit einem grünen Tuch verhüllt. Als es kurz hustet und zu weinen beginnen will, stopft die Mama flink einen Schnuller in das Kind, schiebt den Vorhang vor und der Kleine schläft weiter, wie ein Papagei in einem abgedeckten Käfig, den ganzen Flug über.Anflug auf Kairo, die Sonne singt, sinkt

Die Annahme der Physiker, das ganze Universum sei hauptsächlich voll von dunkler Materie ist also nichts anderes als das Wiederauferstehen der Gnosis. Hoffentlich fällt denen bald was besseres ein. Schwarze Materie zu erfinden für die Dinge, die man nicht erklären kann, ist schon sehr hilflos und muss mit Occams Razor und einer gehörigen Portion Quantenschaum wegrasiert werden.

Mir wird klar, dass in einem so religiösen Volk wie dem der Ägypter nach dem Zusammenbruch der alten Götter eine spirituelle Leere entstehen musste, die sich mit allem, aber auch allem, was es an Sektiererei und Irrglauben gab, füllen ließ.

Der Pilot grüßt mit: „Ladies and Gentlemen, dear children. . .“

Im Flieger läuft Blade Runner, Teil zwei.  Ich lerne: In der Zukunft ist es den ganzen Tag nacht, und es regnet ständig. Vielleicht ist das die Ausgießung, die Emanation, wie sie sich die  Neuplatoniker vorstellten, auf der die Gnosis beruht. Der Held im Film muss irgendwelche schwangere Androiden fangen. Ihre Kinder haben haben eine Seele, „weil sie geboren sind“, sagt der Held, sollte mein rudimentäres Englisch ihn richtig verstanden haben. Draußen sinkt die Sonne in die Wolkenwüste und färbt sie sandfarben. Guter Auftakt für meine Reise finde ich. 19 Uhr lande ich in Kairo, um 24 Uhr bin ich, Inschallah, in Luxor, dann auf‘s Schiff. Die Sonne saugt das Licht aus dem Wolkensand, bis nur noch blauschwarze Dämmerung bleibt. Ein Brei, über dem der  Himmel immer noch lichtblau leuchtet. Zwischen der Grenzschicht aus Wolken und Himmel zieht sich ein Nebelstrich aus goldenem Licht wie fernes Feuer.

Ägypten ist offiziell eine Militärdiktatur. Auf den zehn Minuten Fahrt zum Hafen gibt es zwei Polizeiposten und einen Militärposten mit zwei Soldaten in Kampfausrüstung. Der Fahrer weiß aber wo sie sind, denn bevor sie auftauchen, schnallt er sich immer an. Quer über die Straße sind Hubbel  betoniert, vor denen er fast auf Null abbremst. Gegen zwei Uhr auf dem Dampfer:  Die Schiffe sind nebeneinander geparkt, und ich muss durch ein großallmächtiges Mövenpick-Schiff hindurchlaufen, um auf die Zeina, unseren Dampfer, zu kommen. Das Wort Schiffspassage kriegt da eine ganz andere Bedeutung. Die Passage führt zu einer runde Freitreppe wie auf der Titanic, Ich hatte eine fensterlose Eisenzelle als Kabine erwartet, stattdessen ist es eine geräumige Suite, mit dreifach-Bett im Empire-Stil mit rotem Samt, Holz und Gold. Hellauf begeistert bin ich! 

13.04. Freitag 

Luxor 

Morgens steigt Staub über dem Nilufer empor, wäscht die Farben aus der Luft, macht den Himmel fahl und die staubigen Berge transparent. Das ist der Staub von der Zuckerrohr-Ernte. Hellgrüne Palmwedel steigen Richtung Himmel. Auf einer Parkanlage liegen Männer in Kaftanen seitlich hingestreckt und ruhen sich aus. Alle sitzen im Schatten, in der Hocke. Es wird viel gebaut in Luxor, eine Fußgängerzone  soll in der Sphingen-Allee zwischen Luxor-Tempel und dem Tempel von Karnak wieder hergestellt werden. Unsere Reiseleiterin Amira benutzt das Wort „Sphingen“, schon allein deswegen liebe ich sie.  

Reiseleiter zwei, Achmed, hat einen guten Witz parat: Ein Ägypter beschließt so zu sein wie ein Deutscher, indem er ihm alles nachmacht: Der Deutsche kauft ein Grundstück, 500 Meter lang, 400 Meter breit, der Ägypter kauft daneben ein Grundstück 500 Meter lang, 400 Meter breit. Der Deutsche beschließt, sich ein hübsches Häuschen mit Terrasse zu bauen, der Ägypter denkt, so ein hübsches Häuschen mit einer hübschen Terrasse baue ich auch. Der Deutsche kauft sich ein Auto, natürlich einen Siebener-BMW mit allen Schikanen, und der Ägypter denkt, das kann ich auch und kauft sich den gleichen BMW, sogar in der gleichen Farbe. 

Eines Samstags steht der Deutsche auf, geht auf die Terrasse, holt einen Eimer Wasser und beginnt, sein Auto zu waschen. Da holt der Ägypter die Flex und sägt bei seinem BMW den Auspuff ab. „Was machst Du denn da?“, fragt der Deutsche erstaunt. „Na, wenn Du dein Auto taufst, dann kann ich ja wohl meines beschneiden.“

Das Gefühl von Karnak ist Größe. Man sieht, wie hoch der Nilschlamm lag. Oben die  Kerben, wo  Beduinen und Kopten ihre Messer wetzten,  Pfahlöcher  in der Wand zeigen,  wo sie ihre Häuser bauten, darunter gut erhalten die Reliefs und die Inschriften.

Kurzfassung: Der Beduine nahm seine Bedu-Biene und siedelte auf der Ruine. D

Niemand weiß genau, wie sie die Obelisken  aufstellten, selbst heute wäre es noch ein technisches Problem. Ich merke, dass die Ägypter als absolute Ästheten die Symmetrie perfektioniert hatten. Lerne welche Säule den geschlossenen und den aufgefächerten Papyrus darstellen. Die ganzen Säulen waren letztlich nur ein schöner Pflanzenhain in Form eines Tempels. 

Tempel ist aus braunem Sandstein, der sich mit der Luft zu vereinen scheint. Ein heiliger See, ein Skarabäus, der Wünsche erfüllt.

Die Säulenhalle von Karnak

Ein Tempeldiener zeigt mir die zu einem Kruzifix gehämmerte Triade aus Osiris, Isis und Horus. 

Beinahe bekümmert hält er die Hand auf, eine rührende Geste, ich gebe ihm wohl nur deswegen ein 50erle. 

Wir machen in Luxor eine Kutschfahrt, verzweifelt ruft der Kutscher „Bakschisch“, aber die Verzweiflung ist es, die ihn abstoßend macht. Er bekommt nichts.

Die Reisegruppe, mit der ich unterwegs bin, findet langsam zusammen. „Hat Ihre Frau Angst gehabt mitzukommen?“, werde ich gefragt. „Wer Angst vor Anschlägen hat“, sage ich ausweichend, „der sollte Deutschland meiden.“ Im Papyrus-Shop erklärt eine Albanierin, die in Freiburg aufgewachsen ist, die Herstellung. Das Mark schneiden, klopfen, übereinander legen, pressen, fertig, der natürliche Zuckergehalt klebt es zusammen. Ganz einfach, es kostet nur Zeit. Aber von der hat  Gott  genug geschaffen, nur haben wir verlernt, sie ihm zurückzugeben.  Glücklich mit einem echten Stück Papyrus in einer hübschen Rolle nehme ich Abschied. 

Bana-Menta-litäten: Die Frau vor mir, gemalte gezogen Augenbrauen, Perlenohringe und weißblau gestreiftes Kleid  entschuldigt sich, dass sie sich soviel auf den Teller lädt. „Das sieht dann immer so gefräßig aus“, sagt sie, während während Fleischberge auf Männertellern eher  Virilität verkünden. 

Über eine Sphingen-Allee ist der Tempel von Karnak mit dem Tempel von Luxor verbunden. Darüber wurde einmal im Jahr die Sonnenbarke getragen. 

Das gleiche Gefühl wie in Karnak, nur schöner und intensiver, ich sehe eine seltsame Inschrift, keiner weiß sie zu deuten, sollte das Hebräisch sein? 

Die Pyramiden sind das Symbol der Schöpfung und über ihrer Spitze erschien ein Ei und daraus schlüpfte die Menschheit. Die Götter lebten mit den Menschen in Frieden, aber irgendwann haben sie die Menschen verlassen, um im Himmel zu leben. Von dort setzten sie einen Fuß auf die Erde, das ist der Tempel von Karnak. „Der Vatikan der ägyptischen Götter“, sagt Amira. Die Obelisken  sind in die Höhe gehobene Pyramiden, in sie eingehmeißelt ist wohl eine Art Sonnengesang. Die Sonne singt nicht, sie sinkt. 

Menschen, wie Augenblicke: Ein kauernder Hafenarbeiter, eine blaue Krümmung  auf der halbschrägen Hafenmauer, als wollte er jeden Moment aufspringen  zu Arbeit und Mühen, das Gesicht sorgenvoll schwarz, eine Hand streunt über das Pflaster, die weiße Mütze. Das ist eines der Dinge, über die es nichts zu sagen gibt, außer, dass sie da sind.

Wie die Dunkelheit durchzieht ein Gebetsruf das Tal.  

14.04.2018

Luxor / Tempel der Hatschepsut / Tal der Könige / 

Morgen um 5.50 Uhr raus. Mist, noch immer habe ich das Problem der Wahrheit im Spiegel der Mengenlehre zwar gelöst, aber noch nicht wieder hingeschrieben. Es wird Zeit, die geschweiften Klammern zu finden. 

MIt dem Bus in das  Tal der Könige. Zuckerrohr-Feuer bringen Brandgeruch durch die Lüftungsdüsen. Das Zuckerrohr ist die neue Einnahmequelle von Ägypten. Die meterhohe Staude  wird nicht an den Straßen angebaut, damit sich keine Attentäter verstecken können. Unsere Reiseleiter reden vom Staudamm im Sudan,  der das Land vom Nilwasser abschneidet, so dass die Ägypter Schwierigkeiten bekommen, Reis anzubauen, ihr Nationalgericht. 

Der Tempel der Hatschepsut, ein Amphitheater in der Wüste. Ich wandere in den Sand und versuche, ein Gefühl für die Wüste zu bekommen. Ich  recke die Arme, um den Wind unter das Hemd zu lassen. Das einzige Geräusch macht der Wind in den Ohren, manchmal höre ich Sperlinge, Tauben kreisen oben. Wir fahren weiter.

Das Tal der Könige wird überragt von einem pyramidenförmigen Berg. Gleich dem Kailash, auf dem Shiva wohnt in Tibet. 

Das Tal der Könige beschirmt eine natürliche Pyramide.

Vom Grab Ramses steige ich hinab zum Grab Pharaos Mernenptah, der auf einer seiner Siegessäulen den Namen Israels zum ersten Mal ein hämmern ließ.

Auf der Fußseite seines Sarkophages  breitet eine Göttin, Isis, hängendes Gefieder, rührend in seiner Schönheit.  

Die Feuchtigkeit aus dem Atem der Besucher lässt die Fresken verpilzen, deswegen laufen wir schweigend durch, sehen die standardisierten Szenen von der Belohnung der Guten und der Bestrafung der Bösen im Himmel. Sie hatten wohl dialektisch gedacht, die Pharaonen. Auf Tag folgt Nacht und wieder Sonne, auf Leben folgt Tod und wieder Leben. Der Tote  fährt auf dem Fluss des Todes bis zu seinem Ufer. Dort verwandelt sich die Barke in eine Schlange und kriecht in der Wüste weiter. Zwölf Türen muss der Tote durchschreiten. Hinter jeder Tür wartet eine neue Prüfung.  

Ich erkenne einen grundlegenden Denkfehler in der Religion der Ägypter. Die Himmelsgöttin Nut verschluckt die Sonne und gebiert sie wieder, so wird Tag und Nacht, deswegen wird die Himmelsgöttin Nut als Frau gezeigt, die sich über die Erde beugt. 

Weil die Sonne  aber an der Kante der Erde untergeht, müsste eigentlich die Göttin Erde sie  verschlucken und wieder gebären. Scheint den  Ägyptern aber 3000 Jahre lang nicht aufgefallen sein sein. Oder wir blicken es nicht. Kann auch sein. Um den Malereien nicht zu schaden, bemühe ich mich um einen extra trockenen Humor. 

Der Koloss von Memnon (rechts) in der Nähe des Hatschepsut-Tempels

Die Hitze gießt  Ruhe aus mit rieselnden Sandhänden. Der Himmel hat  seine Bläue verloren, die Tauben schweigen. Dann ist  der Sand so weiß, dass mir  eine Brühe aus Sand und Tränen die Augen verklebt. Der Schatten unter einem Holzdach nimmt die Schmerzen aus den  Augen wie Balsam. 

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