6.5
Figeec – Cahors
Yuppies hießen die Typen. Damals Ideale einer neuen Zeit, heute auf dem Müllhaufen der Geschichte. Geht schnell. Ich benutze das Lot-Tal als Ausflugsschneise vom Südwesthang des Zentralmassivs. Der Rückenwind schiebt mich nach Cahors, das örtliche Zentrum mit einer riesigen mittelalterlichen Brücke, einer Kirche, die von Kuppeln überspannt ist, und absolut schlechten Erdstrahlen. Es war aber auch eine lange und heiße Etappe. Das Wetter ist jetzt gut, die Temperaturen sind bei 25 Grad und die Landschaft rollt sich sommerlich die Straße entlang. Triviale Hahnenfüße, Wiesenkerbel, Baldrian, Zaunrüben. Aber es wachsen auch Feigen, Korkeichen und Zedern im Wald, der Lot trägt jetzt Jachten. Mich überholen lange Konvois von Motorrädern und Wohnmobilen, die Straße ist halb aus dem Fels gehauen. Tunnels, in denen Wasser auf mich herabtropft und Ruinen von mittelalterlichen Befestigungen.
Mein IPhone, das Weich-I hat das titanische Ringen des menschlichen Willens mit den Gewalten der Natur aufgegeben und lässt sich nicht mehr laden. Nun muss die Sonne die Uhrzeit und die Himmelsrichtung anzeigen. Das geht auch, vor allem, wenn einem die Uhrzeit bien egal ist und der Lot die Richtung vorgibt.
Das Office du Tourisme in Cahors schickt mich zu einer Jugendherberge nahe am Hauptboulevard der Stadt. Eine ziemliche Ruine. Die Tapeten hängen in Fetzen, vermutlich um es dem Plastikboden gleich zutun und sich nicht allzusehr vom Lack der Fensterrahmen zu unterscheiden. Einsamer und bisschen blöder Abend in Cahors, wie gesagt, die Stadt hat schlechte Erdstrahlen. Es gibt aber Internet und ich finde heraus, dass an meinem Handy der Connector kaputt ist.
7.5
Cahors – Lauzerte
Am Morgen sind sich wieder alle einig: Ttip ist scheiße, die Energiewende krankt an den Leitungen, das Wasserstoffauto ist viel besser. Wir – das sind zwei Holländer, eine Deutsche, die in Paris lebt, ein Schweizer und ein Franke. Wie gleich die Europäer denken! Denke etwas verschnupft, wenn 90 Prozent der Bürger gegen dieses Ttip sind, und die Regierung das umsetzt, dann ist das keine Demokratie. Nun ja, die Regierung Merkel ist so tot wie eine Hotelbar nach elf Uhr. Einen guten Satz hat der Holländer drauf, nachdem er mir erklärt hat, er sei Chef einer Kooperative, die in seinem Stadtviertel Solaranlagen errichtet. „Um das Ganze ein bisschen zu kompensieren, fahre ich gerne Dampflok. Neulich von Utrecht nach Dresden mit 140 Stundenkilometern.“
„Ein Vogelfänger bin ich ja, heida hi da hopsasa“; trällere ich mit einem herrlich durchgeknallten Franzosen, als ich durch die Cahors radele. Er hat im Orange-Geschäft mitgekriegt, dass ich einen Laden suche, um mein Handy reparieren zu lassen und geleitet mich ins Centre Commercial, wo ein Riesen-Supermarkt das Gebiet dominiert. Leclerc heißt er, der Supermarkt. Der Mann heißt anders, so wie eine berühmter Feldherr aus dem 100-jährigen Krieg. Meine Tochter heißt Johanna sage ich. Er kann anhand der Uhrzeit und der Richtung des Kondensstreifens sagen, welcher Flieger gerade unterwegs ist. Er trägt eine schwarze Radlerhose und eine orangene Warnweste, graue lockige Haar, schlechte Zähne und ein markantes gespaltenes Kinn. Ob ich das wisse, dass Charles de Gaulle nach dem Krieg deutsche Kriegsgefangene angefordert hat, um Minen zu räumen am Atlantikstrand, jeden Tag seien zehn verhungert, 5000 seien gestorben. „Aber die offizielle französische Geschichtsschreibung weiß davon nichts“ sagt er. Er glaubt, dass die Marseillaise von Mozart inspiriert sei. Als ich sage, dass die deutsche Nationalhymne ein Haydn Streichquartett sei, kontert er mit einem trockenen „Opus 62“, ob ich wisse, dass Haydn das Quartett erfunden habe. Er erzählt, er habe alle Quartette von Beethoven, und dann schweigen wir ein Weilchen im Gedenken an den Titanen. Dann zieht er das Mundstück einer Posaune aus der Tasche und spielt darauf die Vogelfänger-Arie, bis sich die Kinder umdrehen. Herrlich. Von ihm erfahre ich warum, es so viele Briten in der Gegend gibt: Hier in den Chausses hatten sie große Stützpunkte während des Hundertjährigen Krieges und würden sich deswegen mit der Gegend verbunden fühlen. Außerdem würde sie das kalkige Hügelland mit den in Felsvorsprünge gebaute Steinhäuser an Cornwall erinnern. Er sucht dann den Supermarkt nach einem Klapphändy unter 40 Euro ab, kehrt erfolglos zurück und lässt mich dann weiter durch alle Lande ziehn, bis hinter mir die Pflasterstein glühn.
Im Supermarkt will ich mit Bargeld zahlen, doch das ist unmöglich! Es gibt keine Bargeldkasse mehr, es gibt sogar mehrere Schalter, wo man die Ware selbst einscannen muss und dann mit Karte zahlt. Eine freundlich lächelnde Aufsicht guckt, ob keiner was klaut.
Mir wird klar, dass wir durch die Abschaffung des Bargeldes komplett in die Hände der Banken geraten würden, denn wir könnten nicht mehr die Banken damit in die Schranken weisen, dass wir unser Geld abheben und unter dem Kopfkissen verstecken. Da gibt es genau soviel Zinsen und man spart sich die Kontoführungsgebühr. Ohne Bargeld könnten die Banken mit uns machen, was sie wollten, sogar noch Geld dafür verlangen, dass wir ihnen unsere Kohle anvertrauen. Sollte jetzt wohl einen Smiley malen.
Ich kaufe mir Madeleines um nicht an die verlorene Zeit an diesem Vormittag zu denken, und proste mir Orangensaft zu. Ja der Witz musste jetzt sein, echt.
Ich fahre an felsigen Kalkhügeln vorbei, die mit niederen Eichen bestanden sind. Sie wirken wie verbrannt und sind wahrscheinlich auch die Überreste von Feuern. Flugs ein interdisziplinäres Forschungskolloqium einberufen, über die die ökologische Nische der Eichen, als der am meisten feuerresistente Baum Mitteleuropas, und dem offensichtlichen Widerspruch des Germanischen Glaubens, die Eichen bei Gewitter zu meiden. Dazu noch eine Gewitter – App in Auftrag gegeben, die punktgenau auf etwa einen Kilometer zeigt, wo es bei Gewitter am Gefährlichsten ist.
Meine Kräfte nehmen zusehends ab. Ich schaffe gegen einen schroffen Westwind gerade mal 30 Kilometer, dann kann ich nicht mehr im Sattel sitzen und schleppe mich mit allerletzter Kraft den Hügel hoch in das altes Wehrdorf (Bastide, heißen die hier) Lauzerte, aus dem Hundertjährigen Krieg. Die nette Hoteliere flößt mir einen ganzen Liter Wasser ein, dann erst lässt sie mich ins Zimmer. Tut gut, mal wieder ohne Mitstreiter schnarchen. Dann besteht die Hotelierin darauf, dass ich was Vernünftiges esse uns stellt mir drei, vier Gänge auf den Tisch. Im Salat ist mehr Fleisch als im Hauptgericht, die Suppenschüssel reicht drei Teller. Über steinerne Treppen, bestanden mit Kübelpflanzen, eine Aussicht über Zedern und die römischen Ziegeldächer, weiter hoch auf den Marktplatz. Wieder ein Traum von Kneipe, ein Lichthof zieht den Blick an gebogenen aus Blattfedern bestehenden Kunstwerken vorbei nach oben. Unten: Billardtisch, Schlagzeug auf der Bühne!
Darin improvisiert ein Pilger am Klavier Jazz-Melodien, sein Kumpel singt dazu, und die beiden mindestens sechzigjährigen Jungs schwingen so gekonnt die Hüften, dass es ihren karohemdigen Mitpilgerinnen die Brillengläser beschlägt.
Die Billardspieler bemühen sich, mir mit ihren Queus nicht die Augen auszustechen und draußen tanzt ein junger Artist mit dem Fahrrad über die Steinblöcke und Treppen des mittelalterlichen Marktplatzes. Ich spiele Bier-Billard und versenke gekonnt mehrere Gläser in meiner Kugel.
8.5
Lauzerte – Auvillar
Die Nacht Durchfall, wenn ich nur an das Essen im Hotel denke, dann könnte ich kotzen.
Entweder das Menü war nicht gut, oder das Wasser war verseucht, das mir die schreckliche Alte in diesem gräßlichen Hotel in jenem fürchterlichen Dorf eingeflößt hat. Entkräftet vom Wasserverlust komme ich 33 Kilometer bis Auvillar.
Ich verlasse die Chausse, heftiger Gegenwind, der mich wie mit einem Schlag überfällt und mich manchmal zwingt, auch auf der Ebene abzusteigen. Kurz vor Moissac passiere ich eine Feier zum 8. Mai nicht, sondern stelle mich dazu. Die letzten Versprengen in blauen Reservisten-Uniformen sprangen am Gefallenen-Denkmal und halten die Fahne hoch vor einer weißen Kirche. Die Marseillaise erklingt, dann Schweigen. Auf den Fahnen entziffere ich die Namen eines Gefangenen-Vereins, die Initialen der Republik Francaise. Nach der Schweigeminute Beifall, ich applaudiere mit, für einen Applaus zu Ehren eines Kriegers bin ich immer zu haben. Die Sprecherin erzählt, genau wie das jemand in Deutschland gemacht hätte, dass wir nie die Schrecken des Krieges vergessen dürfen.
Bloß: Hat das Gedenken an den Krieg je irgendeinen Krieg verhindert? Hat es Vertreibungen und Flüchtlingsströme verhindert? Hat es den Bau von Konzentrationslagern verhindert? Nein, ist die pessimistische Antwort, und ich frage mich, welchen Sinn diese Gedenkfeiern haben. „Auch wenn wir so wenige sind“, sagt die Sprecherin gerade und ich denke mir, vielleicht ist das die frohe Botschaft dieser Gedenkveranstaltung, dass der Zweite Weltkrieg nicht mehr wichtig ist in Europa. Aber dennoch, sobald ich ein bisschen tiefer mit den Franzosen ins Gespräch komme, irgendwann ist er wieder da und oft tauschen wir die Geschichten unserer Eltern aus. Wir sind alle Kinder des Krieges.
Wie also Kriege verhindern? Si vis pacem. . . Schrecklicher Satz, aber wahrscheinlich wahr.
In Moissac muss man den romanischen Kreuzgang ansehen, und vielleicht auch das italienische Café am Markt, das die Wände mit uralten Büchern auf noch älteren Holzbrettern dekoriert hat.
Der Kreuzgang, spätbarocke Romanik, verdrehte Säulen, expressive Tierdarstellungen. Das hätte man früher als germanische Fabelwesen interpretiert, heut weiß ich, dass der geflügelte Stier kein Greif ist, sondern das Evangelistensymbol für Lukas, der weil er heilig ist, Engelsflügel bekam. Vermutlich stammt die alte Interpretation noch von vor tausend Jahren, als man versuchte, das Germanentum überall hineinzugeheimnissen.
Honi soit …. Vielleicht war das auch nur der Versuch, völkischer Kunsthistoriker Kirchliches vor dem Atheismus der Partei zu retten. Aber das alles habe ich denen geglaubt. Jessas.
In der Rue Fermat einem Auto die Vorfahrt genommen, und beinahe meinen letzten Satz gemacht. Es ist aber auch blöd, wenn ich mich vom Handy in die Zentren leiten lassen, denn das führt mich die kürzesten Wege meist in Gegenrichtung von irgendwelchen Einbahnstraßen.
Es geht in das Tal der Garonne auf einem asphaltierten Treidelpfad immer entlang an Platanen und dem Wasser. Nicht ganz so schön wie im Tal der Doubs, aber sehr kräftesparend.
Die Franzosen sprechen hier sämtliche Vokale und Endungen aus wie geschrieben. Das maintenant klingt so wie es ein Deutscher aussprechen würde, dafür aber mit doppelter Geschwindigkeit wie im Norden, so dass man trotzdem schwer versteht.
In Auvillar gibt es Platz in einem kommunalen Gite, sehr schön, sehr sauber. Ich finde im Kühlschrank eine Tomatenmarkbüchse und koche mir Makkaroni, lege mich um sechs aufs Bett und schlafe in den Kleidern ein, immer wenn ich aufwache, versuche ich einen Schluck zu trinken. Druck auf der Brust, im Kopf und im Arsch. Mir wird klar, dass ich so nicht weiter kann.
9.5
Auvillar Ruhetag
Viermal weckt mich am Morgen die kreuzdämliche Putzfrau auf. Ob ich bleiben will, ob sie zur Apotheke soll, ich müsste in ein anderes Zimmer, ob das meine Sachen seien etc.
Verdämmere den Vormittag und den frühen Nachmittag, mein Körper führt irgendwelche Reparaturen durch, ich merke es durch kurze stechende Schmerzen in den Beinen. Die ersten Pilger kommen schon um 15 Uhr, und dann ist es aus mit Schlafen. Sie sind aber sehr angenehm, drei schweigsame rücksichtsvolle Männer, die wissen wo es langgeht, das sind mir die liebsten. Sie reservieren ihr Quartier einen Tag vorher, bloß wenn man sich am Morgen festlegt, wo man am Abend sein will, dann kann sich das in eine schöne Quälerei ausarten, weil man dann unwillkürlich versucht, mit aller Gewalt das Quartier zu erreichen.
Das Wetter ist jetzt beständig schlecht, ein Sturm hat sich erhoben und fegt die Gassen leer. Auvillar ein steinernes Dorf, Ziegel, weiße Mauersteine. Der Marktplatz ist mit einer Rotunde zugebaut, die auf Säulen steht, die Markthalle. Um den Marktplatz gibt es Gallerien. Die Künstler in Auvillar haben einiges drauf, vor allem die Keramiker. Einer der Künstler hat die Simsen in den Fassaden mit Terrakotta Figuren vollgestellt, die unversehens auf einen herabblicken. Setze mich eine Kneipe vor kratzigen Rotwein und versuche, den Wind in Worte zu fassen für die beste Kindergeschichte der Welt.
Der Rotwein tut richtig gut und räumt den Magen auf. Sollte weniger Wasser trinken.